Krankenhaus im Wandel – einst als Wartessaal des Todes verschrien

Wenn wir heute in ein Krankenhaus gehen, haben wir vor allem eines: Hoffnung darauf, wieder gesund zu werden. Im 19. Jahrhundert war das Gegenteil der Fall. Lesen Sie in diesem Blogbeitrag über die Zustände in den Krankenhäusern unserer Urgroßeltern, als Krankenschwestern noch „Wärterinnen“ hießen und der Operateur von der Leichenschau weg in den Operationssaal eilte. Natürlich ohne Reinigung.

Nicht nur Kranke mieden Krankenhäuser, auch Ärzte arbeiteten ungern dort. Viel lieber unterhielten sie Privatpraxen und machten Hausbesuche. Nur die besser-verdienenden Schichten konnten sich den Luxus eines Hausarztes (wie es für uns heute wohl selbstverständlich ist) leisten, und hatten genug Platz in ihren Häusern, einen Seuchenkranken im Notfall im vertrauten Umfeld zu isolieren. Handwerker, Dienstboten und (anderen) Arme waren auf Krankenhäuser angewiesen, vor allem in Seuchenzeiten, wo Erkrankte nach Seuchen gesammelt isoliert wurden, aber auch poliklinische Sprechstunden – vergleichbar mit den heutigen Notfallsammel-Ambulanzen – wurden in Krankenhäusern angeboten. Wer sich also einen Arm brach oder seit Monaten immer schlimmer hustete, ging zur poliklinischen Sprechstunde. Für Seuchenkranke gab so genannte Isolierpavillons, in denen in einem Saal die Cholerakranken lagen, im nächsten die Tuberkulösen. Krankenhäuser, wie auch das Würzburger Juliusspital in unserer neuen Roman-Saga DAS JULIUSSPITAL galten im 19. Jahrhundert noch als Wartesaal des Todes, weil die Sterberaten sehr hoch waren.

Ohne Mundschutz, OP-Kittel und Desinfektion

Die hohen Sterberaten hatten zwei Ursachen. Erstens existierten weder Asepsis (Herstellung von absoluter Keimfreiheit) noch Antisepsis (Vernichtung von vorhandenen Keimen mittels Desinfektion). Nach Operationen entzündeten sich die Wunden oft, weil durch den Operateur Keime in die Wunde gelangten. Der Arzt, der eben noch an der Luftröhre operierte, konnte auch derjenige sein, der kurz zuvor einen tuberkulösen Toten obduziert und sich danach nicht die Hände gewaschen hatte. Eine der häufigsten Todesursachen für Frauen im Mittelalter war das so genannte Kindbettfieber, an dem Frauen kurz nach der Geburt starben. Und auch dessen Ursache waren Keime, die unbemerkt von Hebammen, Ärzten und Helferinnen während des Geburtsvorganges auf die Gebärende übertragen wurden. Ein weiterer Übertragungsweg von Seuchenkeimen war dreckiges Wasser. Wegen einer fehlenden Kanalisation landeten Abwasser (wozu auch Fäkalien mit Cholera-Bakterien von bereits Erkrankten gehörten) wieder in Flüssen, aus denen die Menschen im 19. Jahrhundert ihr Trinkwasser holten. Alles andere als quellfrisch, wie wir es heute gewohnt sind.

1867 gelang dem schottischen Arzt Joseph Lister die antiseptische Wundbehandlung vor der Operation mit Karbolsäure. 1889 wurde das erste universelle Marken-Desinfektionsmittel Lysol hergestellt. Handschuhe und Mundschutz waren für Operationen im vorletzten Jahrhundert unüblich.

Wer seinen Feind kennt …

Die hohen Sterberaten in Krankenhäusern lagen auch in dem fehlenden Wissen um die Ursache von Krankheitserregern begründet. Im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein glaubte man zum Beispiel, dass die Pest sich durch Dünste/Lüfte (Miasmentheorie) übertragen würde, und dass sie vor allem eine von Gott gesandte Strafe für die Sünden des Kranken sei. Erst mit der Erforschung der wahren Krankheitserreger (Bakterien oder Viren) sowie deren Übertragungswege konnten auch Schutzmaßnahmen ersonnen werden.

Als Folge der Entdeckungen der für Krankheiten verantwortlichen Bakterien oder Viren forschte man nach Therapien. Emil von Behring, der wie Conrad Röntgen 1901 den ersten Nobelpreis erhielt, entwickelte die Verwendung von als Abwehrreaktion im Körper erzeugten Gegengiften (Antitoxine), die die Basis von immunisierenden Impfstoffen zum Beispiel gegen Diphterie und Tetanus wurden. Die Grundidee dazu ist schnell erklärt. Bei einem Patienten, der eine Infektionskrankheit übersteht, ist es dem Immunsystem gelungen, nach der Ansteckung im Blutserum Gegengifte gegen das Gift des Erreger-Bakteriums zu bilden. Diese Gegengifte (Antitoxine) schützen ihn auch zukünftig vor einer erneuten Infektion oder sorgen zumindest für eine sehr abgeschwächte nächste Verlaufsform der Seuche. Wer einmal die Pest überlebte, wurde nicht erneut infiziert. Das Blutserum, das die Gegengifte enthielt, wurde dann gewonnen (anfänglich z. B. von Schafen), um andere Menschen zum Schutz damit zu impfen. Serums-Therapien retteten vielen Menschen das Leben.

Robert Koch entdeckte 1882 den Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium tuberculosis) , wogegen jedoch erst 1921 durch die Franzosen Albert Calmette und Camille Guérin ein Tuberkulose-Impfstoff gefunden werden konnte. Und der Schweizer Arzt Alexandre Yersin entdeckte und isolierte 1894 den Pest-Bazillus (Pasteurella pestis).

Erst durch die Forschungserfolge in der Bakteriologie und der Hygiene verließen im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr gesundete Menschen das Krankenhaus, womit diese Einrichtungen mehr Akzeptanz fanden und nicht mehr als Wartesaal des Todes galten.

Claudia recherchiert die Zustände in Krankenhäusern des 19. Jahrhunderts

Wo zunächst niemand hinwollte – Impfstoffe und Therapien durch Krankenhaus-Medizin

Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts begriffen Mediziner zudem, dass sich aus den Untersuchungen der vielen Patienten im Wartesaal des Todes wissenschaftliche Erkenntnisse ziehen ließen. Anders als in einer Privatpraxis war es im Krankenhaus möglich, gleichartige Krankheitsverläufe bei Hunderten von Patienten zu beobachten und daraus zu lernen. Die sogenannte Krankenhausmedizin wurde Ausgangsbasis für revolutionäre medizinische Erkenntnisse. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden durch Krankenhausmediziner zahlreiche tradierte Krankheitsbilder als falsch entlarvt und bessere Behandlungsmethoden zum Beispiel gegen Hysterie, Typhus und Tripper entdeckt. Erst im 19. Jahrhundert entwickelten sich viele Krankenhäuser zu den uns heute bekannten Universitätskliniken.

Als Krankenschwester im 19. Jahrhundert arbeiten

Zu Urgroßmutters Zeiten hießen Krankenschwestern noch „Wärterinnen“ und waren schlechter bezahlt als Straßenkehrer. Krankenwärterin wurde oft nur diejenige, die sonst nirgends eine Anstellung fand und bereit war, für ein paar Münzen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Niemand wollte freiwillig an einem Ort arbeiten, an dem es vor todbringenden Krankheiten wimmelte, vor denen es keinen Schutz gab. Viele Krankenwärterinnen starben. Jede Frau konnte Wärterin werden, männliche Wärter wurden oft nur in den Irren-Abteilungen eingesetzt, wo auch mal grob zugepackt werden musste. Ein großes Problem der Pflege im 19. Jahrhundert war auch, dass es keine Ausbildung gab, nicht mal pflegerisches Grundwissen wurde als Einstellungsvoraussetzung als notwendig erachtet. Die Qualität der Pflege war entsprechend gering. Oft fanden sich einzig Ordensschwestern (z. B. die Diakonissen an der Berliner Charité), die sich um die Kranken kümmerten. Pflegeschulen, an denen ordensunabhängige Krankenschwestern ausgebildet wurden, kamen erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem deutschsprachigen Boden auf.

So vieles hat sich seit dem 19. Jahrhundert verändert, und nie waren die Ausgangsvoraussetzungen besser als heute, eine Seuchenzeit durchzustehen. Im Vergleich zu Zeiten, in denen es weder Telefon noch Internet gab, sind wir heute nicht kontaktlos isoliert, werden Nahrungsmittel lange nicht knapp und können wir Therapien schneller entwickeln und verbreiten.