DAS JULIUSSPITAL – Ärztin aus Leidenschaft – Ärztin in stürmischen Zeiten
Als Frauen operieren lernten
DAS JULIUSSPITAL – Ärztin aus Leidenschaft, S. 47
Würzburg im Dezember 1849: Im Haus des angesehenen und wohlsituierten Bankiers Winkelmann laufen die Vorbereitungen für das alljährliche Weihnachts-Dîner auf Hochtouren. Die Hausherrin Elisabeth tyrannisiert ihre Umgebung mit ständig neuen Anweisungen, und Tochter Viviana ist froh, ihr wenigstens zeitweise entkommen zu können. Bei einer ihrer Fahrten mit der Kutsche – selbstverständlich in der Obhut ihrer frommen Tante Constanze – wagt sich die wohlbehütete Viviana in ein ihr völlig unbekanntes Viertel der Stadt. Dort begegnet sie dem Steinmetz Paul, der sie nicht nur vom ersten Moment an ganz unverfroren duzt, sondern ihr auch eine völlig neue Welt eröffnet. Viviana entdeckt bald, dass sie sich immer mehr zu diesem Mann hingezogen fühlt, der einer ganz anderen Gesellschaftsschicht angehört und von dem sie Welten trennen.
Würzburg Mitte 19. Jahrhundert: Bankierstochter Viviana Winkelmann träumt davon, Ärztin zu werden – obwohl Frauen seit 1800 nicht mehr studieren dürfen. Als die junge Frau sich unstandesgemäß verliebt und schwanger wird, wirft ihre Familie sie aus dem Stadtpalais. Um sich und ihre kleine Tochter Ella über Wasser zu halten, verdingt sich die einst vornehme Viviana als Gehilfin in der Apotheke des renommierten Würzburger Juliusspitals. Doch soll das wirklich alles sein, was sie als Frau im Leben erreichen kann? Sie belauscht Vorlesungen berühmter Ärzte am Spital und lernt Professor Virchow kennen, der einer Weltsensation auf der Spur ist. Ihre Zukunft, das spürt sie, die liegt als Ärztin im Spital – auch wenn ihr deswegen nicht nur der eigene Bruder zum erbitterten Feind wird.
Magda Vogelhuber blieb vor dem Talglicht stehen, das Viviana auf dem einarmigen Stuhl abgestellt hatte. „Du musst arbeite und Geld verdiene, wenn du hie wohnen blebn willst!“
„Arbeiten?“ Viviana richtete sich auf. „Wer sollte mich denn beschäftigen? Ich bin eine Frau, noch dazu ohne Ausbildung. Auf der Töchterschule haben wir nur gelernt …“ Weiter kam sie nicht.
„Geh einfach dorthin, wo sonst niemand hie will, aber jede Hand gebraucht wird!“, unterbrach Magda sie. „Ins Spital näbean!“
„Das Juliusspital?“, fragte Viviana entsetzt. Das Juliusspital war als letzter Ort für die Ärmsten der Armen verschrien. Wer auch immer die Möglichkeit und noch etwas Geld in der Tasche hatte, mied Spitäler und bezahlte einen Hausarzt. „Ich will aber nicht sterben“, murmelte sie und deckte ihre Kleine zu.
Würzburg Ende des 19. Jahrhunderts: Ebenso wie ihre Großmutter Viviana Winkelmann kämpft Henrike für das Recht der Frauen auf ein selbstbestimmtes Leben – und die Zulassung zum Medizinstudium: Ihr Wunsch zu heilen ist so stark, dass sie heimlich als Reserve-Wärterin in der Irrenanstalt des Juliusspitals arbeitet, das dieser Tage wegen der Entdeckung der „Zauberstrahlen“ von Professor Röntgen Kopf steht. Ihr Traum ist es, als Irrenärztin das Leid der Geisteskranken zu lindern und bei dem vielgerühmten Professor Rieger im Spital zu studieren. Als Henrike sich jedoch in einen französischen Medizinstudenten verliebt, kommen ihre Geheimnisse ans Licht. Kurz darauf wird Würzburg von der Tuberkulose heimgesucht, und plötzlich geht es für Henrike um Leben und Tod. Ihr Traum von der Medizin und die Abschaffung des Immatrikulationsverbotes für Frauen rücken in weite Ferne. Für sie, ihre Großmutter und alle bildungshungrigen Frauen brechen stürmische Zeiten an.
Tage mit den Winkelmann-Frauen in Liebe, Leid und Leidenschaft
Seiten Familien- und Medizin-Saga
berühmte Ärzte, für die Frauen in der Wissenschaft ein Unding sind
Frauen kämpfen leidenschaftlich dafür, heilen zu dürfen
Erst im 19. Jahrhundert entwickelten sich viele Krankenhäuser zu den uns heute noch bekannten Universitätskliniken. Die Charité ist die wohl berühmteste im deutschsprachigen Raum, obwohl das deutlich ältere Würzburger Juliusspital die Charité insbesondere von 1820 bis 1860 als herausragende Lehr- und Forschungsanstalt überbot. Die Hörerzahlen der Medizinischen Fakultät der Alma Julia mit dem Juliusspital als Lehrkrankenhaus übertrafen die Hörerzahlen der Medizinischen Fakultät der Charité sogar noch bis in die 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts hinein. Ein Grund, warum unsere Wahl auf das Juliusspital als Handlungsort fiel, nachdem wir mit der Recherche zu Krankenhäusern im 19. Jahrhundert begonnen hatten.
Anders als in unseren Romanen über Margarethe Luther (DIE MUTTER DES SATANS) und Lenchen Demuth (REVOLUTION IM HERZEN) sind unsere Heldinnen in der SPITAL-Saga fiktiv. Nicht aber das Krankenhaus, dessen Abläufe und vor allem die weltberühmten Ärzte, die am Juliusspital lehrten. Wussten Sie, dass Rudolf Virchow (der an der Berliner Charité später sehr berühmt wurde) sein bahnbrechendes Lebenswerk (die Cellular-Pathologie) in Würzburg „entdeckte“, als er gerade mal 35 Jahre jung war?
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Interesse von Ärzten, in einem Krankenhaus zu arbeiten, noch gering. Sie unterhielten Privatpraxen. Nur allmählich begriffen Mediziner, dass sich aus den Untersuchungen der vielen Patienten im Wartesaal des Todes (wie Krankenhäuser damals im Volksmund genannt wurden) wissenschaftliche Erkenntnisse ziehen ließen. Anders als in einer Privatpraxis war es im Krankenhaus möglich, gleichartige Krankheitsverläufe bei Hunderten von Patienten zu beobachten und daraus zu lernen. Die sogenannte Krankenhausmedizin wurde Ausgangsbasis für revolutionäre medizinische Erkenntnisse. Genau dieser Entwicklungsprozess hat unser Interesse geweckt, einen Krankenhausroman zu schreiben, der im 19. Jahrhundert spielt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden durch Krankenhausmediziner zahlreiche tradierte Krankheitsbilder als falsch entlarvt und bessere Behandlungsmethoden zum Beispiel gegen Hysterie, Typhus und Tripper entdeckt. Und schließlich gelang durch die Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 in Würzburg ein Durchbruch in der medizinischen Diagnostik. Um in den Menschen hinein zu schauen, musste nicht mehr operiert werden. Die Entdeckung wurde als Wunder gefeiert und Röntgen zum weithin berühmten „Wissenschafts-Star“.